„Zerrissene Leben“

am Dienstag, den 11. Juni 2024 um 18.30 Uhr in der KZ Gedenkstätte Flossenbürg, Gedächtnisallee 5 | 92696 Flossenbürg (Saal im Bildungszentrum) von und mit Pavla Plachá

Pavla Plachá

Von den knapp 5.000 Ravensbrücker Häftlingen aus der vormaligen Tschechoslowakei sind eher Milena Jesenská (*1896 Prag, † 1944 Ravensbrück) oder die Überlebende Hana Housková (*1911 Prag, † 1995 Prag) öffentlich bekannt. Die erstere als Journalistin und Adressatin zahlreicher Briefe von Franz Kafka in den 1920er Jahren. Die letztere überlebte die KZ-Haft, wurde Aktivistin des sogenannten Prager Frühlings in den 1960er Jahren, verließ 1969 die Kommunistische Partei und sah sich anschließend heftiger Denunziation ausgesetzt. Ihr Text „Monolog“ (1993) weckte das Interesse am Schicksal ihrer Kameradinnen.

Von 1939 bis 1945 wurden etwa 123.000 Frauen und Kinder in das nationalsozialistische Konzentrationslager Ravensbrück (KZ) verschleppt. Früh, nach der Zerschlagung der Tschechoslowakei, gehörten auch ihre Staatsangehörigen zu seinen Opfern. Diese Häftlingsgruppe hat eine wesentliche Bedeutung für die Geschichte des KZ, zumal neben den politisch Verfolgten der rassistische Terror hier auch Jüdinnen, Sintezze und Romni aus Böhmen, Mähren, der Slowakei und der Karpatenukraine erfasste.

Mit der umfassenden Studie „Zerrissenen Leben“ von Pavla Plachá (Übersetzung aus dem Tschechischen: Marika Jakeš) liegt nun eine wirklichkeitsnahe und historisch abgesicherte Darstellung zu Strukturen in der Gruppe sowie den Schicksalen und wie Überlebenswegen der tschechoslowakischen Ravensbrückerinnen vor. Dabei wird das seit 1948 von realsozialistischen Deutungen geprägte und herrschende Bild der Erinnerung umfassend revidiert.

Zum ehemaligen Konzentrationslager Flossenbürg gibt es mehrere Schnittstellen. So werden im April 1944 knapp 700 nichtjüdische Häftlinge (Polinnen, sowjetische Staatsangehörige und Tschechoslowakinnen) aus dem KZ Ravensbrück in ein Außenlager von Flossenbürg (Helmbrechts) gebracht, um als Zwangsarbeiterinnen in der Rüstungsproduktion (Metallwerk Neumeyer, Nürnberg) eingesetzt zu werden.

Pavla Plachá, Zerrissene Leben, Tschechoslowakische Frauen im Konzentrationslager Ravensbrück 1939-1945; 440 Seiten – Hardcover – € 34,80 – VSA Verlag Hamburg; ISBN 978-3-96488-169-4

www.gedenkstaette-flossenbuerg.de/de/besuch/informationen

Anreise mit öffentlichem Verkehr: per Bahn bis Weiden (Oberpfalz), von dort 40 Minuten über Land mit Bus 6272 oder 1951 (Richtung Flossenbürg/Silberhütte) bis „Flossenbürg-Gedenkstätte“

Anreise mit PKW: über die Autobahnen A 93 (Regensburg-Hof |Ausfahrt Neustadt an der Waldnaab) oder A 6 (Nürnberg-Pilsen | Ausfahrt Waidhaus)

Wer den Besuch der Lesung an dem Tag nutzen will, um die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg näher kennen zu lernen: Öffnungszeit 9 – 17 Uhr.

265 Queer ohne Jüdinnen und Juden

„Normalerweise versuche ich wegzuhören, mich abzulenken, außer Reichweite der Lautsprecher zu stehen. Eine seit Jahren auf dem Kreuzberger CSD notwendige Praxis, doch dieses Mal funktioniert sie nicht mehr, und ich sitze heulend in einem Hauseingang, weil ich deutlich die Botschaft höre: Als queere Jüdin bin ich hier nicht erwünscht, zumindest nicht, wenn ich mich nicht antizionistisch positioniere.“

Die Sendung basiert auf einem Beitrag aus dem Buch Judenhass Underground, erschienen im Hentrich & Hentrich Verlag. Der Autor ist Stefan Lauer.

An dem Diskurs beteiligen sich: Shygirl, Princess Nokia, Kari Faux, Rico Nasty, Megan Thee Stallion, Iggy Azalea, Ashnikko, Lady Lykez und Chippy Nonstop/Jhawk Productions

Tel Aviv Strand mit LGBTQ+ Fähnchen

264 Die Rückkehr der progressiven Abscheulichkeiten (Teil 2)

Bild von Bruce Emmerling auf Pixabay

Es gibt und gab schon immer auch eine andere Tradition, ein anderes Verständnis davon, was es bedeutet, »progressiv« zu sein und sich auf die Seite der Unterdrückten zu stellen, als die in dieser Sendung beschriebene antisemitische. 

Im Jahr 2011 veröffentlichte Fred Halliday auf der Plattform Open Democracy einen Aufsatz mit dem Titel »Terrorism in Historical Perspective«. Es ist das intellektuell und moralisch klarsichtigste Werk zu diesem Thema, das ich kenne. Halliday wandte sich an seine linken Genossen und brachte ein entscheidendes Argument vor: Jede Bewegung, die den Anspruch erhebt, ein unterdrücktes Volk zu vertreten, muss ethisch handeln, auch wenn sie nicht an der Macht ist und sich selbst als schwach empfindet. 

Sexuelle Folter kann nicht antiimperialistisch sein – und sie ist auch keine verständliche, geschweige denn unvermeidliche Reaktion auf Unterdrückung. Ein eliminatorisches Programm ist keine Freiheitscharta. Unterdrückung ist kein Freibrief dafür, Köpfe von Körpern abzutrennen, Hunderte junger Festivalbesucher zu erschießen, Menschen totzuschlagen, Kinder vor den Augen ihrer Eltern zu ermorden und umgekehrt, nackte Frauen aus nächster Nähe zu töten und Babys und alte Menschen zu entführen; es gibt kein politisches Universum, in dem dies revolutionäre, emanzipatorische oder antikolonialistische Taten sind, und schon gar nicht »schöne«. 

Sadismus und Gewalt sind nicht synonym! Die Geschichte hat immer wieder bewiesen, dass Terroristen und Freiheitskämpfer nicht dasselbe sind, weshalb Erstere nie etwas erreichen, das auch nur annähernd Befreiung oder Gerechtigkeit bedeutet. Es gibt keinen Platz für ein »Ja, aber«. Warum ist das, wenn es um den Tod von Israelis geht, so schwer zu verstehen? 

Es melden sich zu Wort: Ty Segall, Desert Sessions, Jack White, Red Fang, Voice of the Seven Thunders, Zu, Melvins, All Them Witches, The Midnight Ghost Train und Woven Hand.

263 Die Rückkehr der progressiven Abscheulichkeiten (Teil 1)

Susie Linfield

Im Nachgang des größten Massakers an jüdischen Menschen seit der Shoa, am 7. Oktober des letzten Jahres durch die islamistische Hamas, hat sich weltweit gezeigt, auf welche Milieus sich Jüdinnen und Juden nicht verlassen können, wenn sie gegen ihre Auslöschung kämpfen müssen: auf sich links fühlende oder sich links gerierende sogenannte Zusammenhänge, die vom Antisemitismus – zumal dem eliminatorischen – nichts wissen wollen. Wir dagegen wollen Ihnen in dieser und der darauf folgenden Sendung der Redaktion 17grad das Essay der New Yorker Professorin Susie Linfield mit dem Titel „Die Rückkehr der progressiven Abscheulichkeiten“ zur Kenntnis geben. 

Susie Linfield ist außerordentliche Professorin am Arthur L. Carter Journalism Institute der New York University und leitet dort das Programm Cultural Reporting and Criticism. Zuvor war sie Kunstredakteurin der »Washington Post«, Chefredakteurin von »American Film« und stellvertretende Herausgeberin der Zeitschrift »Village Voice«.

Ihr Beitrag erschien im Januar in der Wochenzeitung jungle world und im Original Mitte November 2023 in der australischen Online-Publikation Quillette.

In dem Essay formuliert Linfield eine Abrechnung mit den schockierenden Reaktionen der globalen Linken auf das Massaker vom 7. Oktober. 

Die Abrechnung wird ergänzt durch Beiträge von: Guts Pie Earshot, King Gizzard & The Lizard Wizard, Liturgy, Machine Head, Body Count, Municipal Waste, Death Pill, Ceremony.

262 Kapitalismuss, Klasse und Universalismuss

Vivek Chibber Buch

In welche anti-universalistischen und kulturalistischen Sackgassen identitäre Konzeptionen und damit auch die mittlerweile allgegenwärtigen Denkmuster postkolonialer Theorieversatzstücke führen, haben die weltweiten Reaktionen der Linken auf das Massaker der Hamas am 7. Oktober des letzten Jahres in Israel schmerzlich vor Augen geführt. 

Von der moralischen Verkommenheit des offenen oder heimlichen Jubels über diesen barbarischen Akt einmal abgesehen, hatten jene, die sich auf der „gerechten“ Seite der Palästinenser verorten und sich gleichzeitig als irgendwie „links“ wähnen, nichts Besseres zu tun, als das Pogrom zu verharmlosen, zu relativieren und, wie sie es nennen, zu „kontextualisieren“. Die ideologischen Grundpfeiler, die dieses linke Totalversagen begründen, wären zu benennen und aufzuarbeiten. 

Musikalische Begleitung: Dykemann Family, Reverend Beat-Man And The Un-Believers, Delaney Davidson, Boz Boorer, HeadCat, zZz, The Legendary Shack Shakers, The Crewnecks.

261 Linker Antisemitismus

Linker Antisemitismus
Quelle: Freepik

Nachdem viele – so auch wir – im Zuge der politischen Auseinandersetzungen der 1990er Jahre in Deutschland geglaubt haben, die primitiven und dichotomischen Welterklärungsmuster antiimperialistischer Prägung erfolgreich zurückgedrängt zu haben; in diesem Zuge auch den Antisemitismus unterschiedlichster linker Milieus ausreichend problematisiert zu haben, sehen wir uns heute mit einem inflationären Anstieg antisemitischer Versatzstücke in Theorie und Praxis konfrontiert. 

In einer Intensität und weltweiten Breite, die uns erschaudern lässt. 

Während die jüdische Heimstatt angegriffen wird, Bewohnerinnen und Bewohner enthemmt und gleichzeitig kalkuliert abgeschlachtet werden, sammeln sich krakelende Antisemiten weitgehend unbehelligt in teils alten, teils neuen Formationen, um ihre Freude über diese Gräueltaten zum Ausdruck zu bringen. 

Wo offener Jubel nicht gänzlich opportun erscheint, wo gegebenenfalls der zaghafte Gegenwind von ihnen nicht ausgehalten wird, weil akademische und andere Karrieren noch ausstehen, da fabulieren sie von Sprech- und Denkverboten, fühlen sich –wahrlich ein Treppenwitz – verfolgt und zum Schweigen gebracht.

Sich links gerierende Gruppierungen, so marginal ihre gesellschaftlichen Zukunftsvorstellungen auch sein mögen, mischen kräftig mit und bilden gemeinsam mit Anhängern des globalen Dschihads und den versprengten Resten einer geriatrischen Friedensbewegung eine unheilige Allianz des politischen Wahnsinns.

An der Aufarbeitung beteiligen sich musikalisch: Devendra Banhart, PJ Harvey, Johnossi, Lewsberg, Calexico, Colter Wall, Big Thief

260 Das iranische Regime

Quelle: Mark Hrkac
Photo by: Matt Hrkac, Flickr, CC BY 2.0, 
https://www.flickr.com/photos/matthrkac/52382953501/.

Der widerwärtige Angriff der islamistischen Mörderbande Hamas am 7. Oktober auf Israel überstieg in seiner enthemmten und gleichzeitig kalkulierten Brutalität unsere damalige Vorstellungskraft. Wir waren, wie viele andere, schockiert und wie gelähmt, als wir die Nachrichten von dem dortigen Pogrom erhielten.

Selbstverständlich weiß man seit den Mordfeldzügen des Islamischen Staats, wozu der globale Dschihad fähig und willens ist. Dennoch konnten wir uns bis dato einen derartigen Überfall an diesem Ort kaum vorstellen. Obwohl Israel seit seiner Gründung mit existentiellen Bedrohungen konfrontiert ist und umgehen muss.

Was uns aber ebenso schockiert, ist die weltweite Ignoranz bis hin zur unverhohlenen Freude auf Seiten sich „links“ gerierender Milieus. Zum moralischen und politischen Bankrott dieser – um im linken Duktus zu bleiben – Zusammenhänge ist an vielen Stellen bereits vieles richtige gesagt worden.

Wir fügen hinzu: für eine progressive, fortschrittliche Linke – so es diese überhaupt noch geben sollte – kann es keinerlei Zusammenarbeit mit den Initiatoren und auch den Kollaborateuren des Massenmordes geben. Eine emanzipatorische Linke ist solidarisch mit dem jüdischen Staat und bekämpft den Antisemitismus in jeder Gestalt, oder sie ist nicht.

Den Ja-Aber-Relativierern dürfen wir an dieser Stelle mit den Worten der Shoa- Überlebenden Fanny Englard entgegnen: „Sag nicht Krieg. Sag Lebenskampf. Es ist ein Unterschied, ob man einen Krieg führt oder ob man um sein Leben kämpft. Wir haben es mit dem Judenhass von Hitlers islamistischen Erben zu tun. Wenn Israel gegen die angeht, die es auslöschen wollen, ist das nicht Krieg, um andere zu töten, sondern ein Kampf ums Leben.“

Zum Schluss müssen wir dann noch eine traurige Nachricht in eigener Sache vermelden. Mitte Oktober verstarb völlig überraschend das langjährige Redaktionsmitglied Thomas in Hamburg. Thomas gehörte zur Gründergeneration des Projekts 17grad und hat bereits die Zeitschriftenausgabe in den 90er Jahren maßgeblich mitgeprägt.
Wir vermissen ihn.

Ebenso fassungslos sind: Bobby Bear Jr., Katie Gray, The Jeffrey Lee Pierce Sessions Project, The Felice Brothers, Lilly Among Clouds, Minor Majority, Nick Cave & The Bad Seeds

„Wir dürfen uns die Wahrheit nicht nehmen lassen von der Lüge. Auch nicht von der Auslassung oder von der Halbwahrheit. Oder von der ideologischen Verdrehung.“

Ein Artikel aus der Wiener Zeitung vom 27.10.2023

https://www.wienerzeitung.at/a/beatrice-frasl-was-gesagt-werden-muss

Beatrice Frasl ist Kulturwissenschafterin und Geschlechterforscherin und arbeitet aktuell als freiberufliche Autorin („Patriarchale Belastungsstörung. Geschlecht, Klasse und Psyche.“), Podcasterin („Große Töchter“), Kolumnistin und Speakerin zu Themen rund um Feminismus, Frauenpolitik und psychische Gesundheit. Auf sozialen Medien ist sie als @fraufrasl bekannt.

„Hätte die Linke uns nicht für einen Moment beistehen können, so wie es viele Araber in Israel und der Welt taten?“

Ein Artikel der digitalen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 28.10.2023

http://sz.de/1.6295055

Die französisch-israelische Soziologin Eva Illouz, geboren 1961 als Tochter sephardischer Juden in Marokko, zählt zu den weltweit prominentesten Stimmen des linksliberalen Israel. Im Dezember 2020 unterzeichnete Illouz gemeinsam mit Eva Menasse, Matthias Lilienthal und vielen anderen die „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ als Protest gegen den Bundestagsbeschluss gegen die Israel-Boykott-Organisation BDS.